Der Starnberger See macht alle glücklich: die Anwohner in ihren Villen, die Sommergäste in ihren Badeschlappen. Wir wollten uns einmal nicht blenden lassen und sind der Idylle auf den Grund gegangen.
Julia Decker, Wolfgang Görl, Jan Heidtmann, Lilith Volkert
Großes Glück am kleinen See – oder kleines Glück am großen See? Wie man es auch wendet: Der Starnberger See macht nicht nur diese Beiden happy.
Im Landkreis Starnberg leben die meisten Millionäre Bayerns und die meisten Spitzenverdiener Deutschlands +++ Das Durchschnittseinkommen liegt bei 23644 Euro pro Jahr, Deutschland: 17087 Euro +++ Die Kriminalitätsrate ist halb so hoch wie im Bundesdurchschnitt, 2004 wurden 3 Mordversuche, 317 Fahrraddiebstähle und 133 Fälle von Drogenkriminalität gemeldet +++ Die Bewohner des Landkreises behaupten von sich selbst, die glücklichsten Menschen Deutschlands zu sein, 86,1 Prozent finden, dass es sich »hier sehr gut leben lässt« +++ Der Rekord im Durchschwimmen des Sees von Starnberg nach Seeshaupt beträgt 7 Stunden 35 Minuten +++ Das Ufer des Starnberger Sees ist 54,3 Kilometer lang, knapp die Hälfte befindet sich in Privatbesitz +++ Pro Jahr werden rund 80 Tonnen Fisch gefangen, hauptsächlich Renken +++ Jährlich kommen 5 Millionen Tagestouristen zu Besuch +++
Wäre der Landkreis Starnberg Deutschland, würde die rot-grüne Regierung im September nicht abgewählt: Im Mai vergangenen Jahres lag die Arbeitslosigkeit bei vier Prozent. Zwölf Monate später, nach Hartz IV, Arbeitslosengeld II und Montagsdemos, nur ein halbes Prozent drüber. »Starnberg gilt als Insel der Glückseligen«, sagt Robert Mattioni von der Agentur für Arbeit. Aber es klingt ein wenig wie eine Klage. »Ein Arbeitsloser empfindet sein Schicksal hier oft als wesentlich härter. Der soziale Druck ist viel größer.«
Marion Gappe hätte also viele Gründe, eine unglückliche Frau zu sein: Gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden Söhnen wohnt sie in zwei Zimmern, ihr einziger nennenswerter Besitz ist ein alter Opel Vectra. Und die Lebensmittel, um sich und die Familie zu versorgen, holt Frau Gappe regelmäßig von der Starnberger Tafel, einer karitativen Einrichtung.
Frau Gappe kam 1980 nach Starnberg, sie ist jetzt 47, hat in einer Wurstfabrik gearbeitet, später als Zimmermädchen. Vor acht Jahren wurde ihr Rheuma so schlimm, dass sie sich kaum noch bewegen konnte. Jetzt verdient ihr Mann als Altenpfleger noch etwas Geld, abgesehen von der Miete müssen die Gappes mit 600 Euro im Monat auskommen. Trotzdem, sagt Marion Gappe, sei sie eine glückliche Frau. Und, was ihr noch viel wichtiger ist: »Ich denke, ich habe auch glückliche Kinder.« Fast ein halbes Jahr haben die Gappes gespart, damit sie ihren Söhnen Bayern-Trikots kaufen konnten. »Irgendetwas möchte ich denen auch bieten«, sagt sie. Besonders, wenn die Klassenkameraden regelmäßig mit den neuesten Turnschuhen und Handys ankommen. Frau Gappe stammt aus dem Rheinland, aber Starnberg möchte sie nicht mehr verlassen. Die vielen BMW, die Boutiquen und Villen – »das stört mich nicht, ich bin zufrieden, mit dem, was ich hier habe«. Dazu gehört vor allem, dass der Starnberger See vor ihrer Haustür liegt. »Der macht es einem schwer, wirklich unglücklich zu werden.«
Rainer, 30, ist seit 15 Jahren Rettungsschwimmer im Strandbad Kempfenhausen: »Am Wochenende bin ich mit meinen acht Kollegen ab neun Uhr auf dem Badegelände. Wenn es heiß ist, gibt es schon um kurz nach neun keinen einzigen Parkplatz mehr. Viele sind Stammgäste. Eine Gruppe Rentner zum Beispiel sitzt schon seit Jahren am gleichen Platz. Die Männer mit Koteletten, knappen Badehosen und goldenen Armkettchen, die Frauen in pinkfarbenen Badeanzügen und Frisuren wie aus Dallas. Und spätestens ab halb zehn glüht der Grill. Cabrios sieht man viele hier, aber das Publikum ist sehr gemischt. Die älteren Leute trinken oft zu wenig, bekommen Kreislaufprobleme und klappen zusammen, die jungen trinken oft zu viel. Und klappen auch zusammen. In der Hitze fünf Helle um gerade mal halb zwei Uhr mittags verträgt nicht jeder. Und dann sind da noch die Unverbesserlichen, früher viele Surfer, jetzt hauptsächlich Segler: Die ignorieren die Sturmwarnungslichter, weil sie den starken Wind vor einem Gewitter ausnutzen wollen. Sie fahren mit ihren Segelbooten direkt ins Unwetter und kommen nicht mehr ans Ufer zurück oder kentern. Dann sind sie natürlich froh um uns. Aber wir haben auch schon Anzeigen bekommen, weil das teure Segelboot bei der Bergung einen Kratzer abbekommen hat. Zu Beginn der siebziger Jahre war es Mode, sich im See umzubringen: Wenn ein Mann in München seine Ehefrau als vermisst gemeldet hat, wurde oft die Wasserwacht in Starnberg angerufen, aus Angst, dass sie sich dort ertränkt hat. Wenn heute Leute ihre Partner vermissen, hat das andere Gründe: Einmal kam eine Frau und sagte, ihr Mann wollte nur kurz etwas am Segelboot reparieren, sei aber jetzt schon seit Stunden verschwunden. Als wir sein Boot gefunden hatten, war die Persenning leicht gelöst, darunter lag der gesuchte Ehemann. Mit einer anderen Frau.«
Wie aus dem Bilderbuch: In Ammerland streift der Blick vorbei am Grün des Ufers über das Wasser bis zu den Hügeln der Ilkahöhe über Tutzing. Im Süden die Zugspitze mit ihrem schneebedeckten Gipfel. Hier, jetzt, ist ein besonderer Moment.
Den Alltag in Watte packen unter dicken Schäfchenwolken – das kann der See. Kaiserin Sisi wusste das vor über hundert Jahren und verbrachte die Sommermonate in Feldafing. Ein Gurgeln, wenn das Wasser in kleinen Wellen gegen den Steg in Feldafing plätschert, alle anderen Geräusche werden auf geheimnisvolle Art geschluckt. Das Wasser kühlt die Füße. Überhaupt das Wasser: so weich, dass die Kaiserin ihr Haar darin wusch. Die Illusion ist perfekt. Obwohl dicht bebaut, scheint das Ufer auf der jeweils anderen Seite unbewohnt, entsteht diese seltsam angenehme Einsamkeit. Nur alle hundert Meter schaut ein Türmchen aus den Baumkronen.
Der See fasst einen an. Ob auf dem Steg oder zwischen den Blumenstöcken auf der Roseninsel, dort, wo man sofort leicht benommen ist vom Duft der alten Rosen.
Tausende davon pflanzten die Wittelsbacher einst. Ein Fährmann bringt die Besucher vom Park in Feldafing hinüber, ein paar Meter sind es nur, seit 25 Jahren fährt Norbert Pohlus jeden Tag, immer wieder erzählt er die Geschichten: wie sich einst König Ludwig II. mit der Kaiserin auf der Insel traf; dass er bis vor zwei Jahren im Stehen ruderte wie die Gondolieri. Momente, in denen die Idylle kaum auszuhalten ist. Was hat der See, was andere nicht haben? Vielleicht ein bisschen zu viel von allem: zu viel Ruhe, Landschaft, Schönheit, Geschichte, gutes Essen, zufriedene Menschen, prächtige Häuser – genug! Na ja, das vielleicht noch: München ist zwanzig Minuten entfernt.
Gemeinde Berg. Was das Verhältnis zwischen dem gleichnamigen Dorf und seinem eingeborenen Sohn Oskar Maria Graf betrifft, ist folgende Geschichte verbürgt: Nach langem Sträuben hatte sich der Gemeinderat Ende der achtziger Jahre dazu durchgerungen, einen Platz nach dem berühmten Schriftsteller zu benennen, das Karree vor der Bäckerei Graf, in der Oskar – den Zweitnamen Maria hat er gegen 500 Mark Honorar auf Bitten eines gleichnamigen Malers hinzufügt – am 22. Juli 1894 geboren wurde. Alles war vorbereitet, das Straßenschild mit der Aufschrift »Oskar-Maria-Graf-Platz« anzubringen, da trat eine betagte Anwohnerin auf den Plan. Niemals, ließ sie den damaligen Bürgermeister Josef Ücker wissen, würde sie die Schmach verwinden, an einem Platz zu wohnen, der nach diesem Kerl benannt ist. Ücker, nicht eben der größte Verehrer Grafs, sah dies ein und nahm das Schild unter Verschluss. Erst nach dem Tod der alten Dame wurde es angeschraubt.
Es ist eine Begebenheit wie aus einem Graf-Roman. Der Bäckersohn aus Berg wusste genau, was die Menschen seiner Heimat bewegt. Und er hat aufgeschrieben, was das Leben und die großen Ereignisse der Geschichte aus ihnen machte: wie die herkömmliche Ordnung, die Halt bot und zugleich Fessel war, allmählich zerbrach, als die Mechanismen des Kapitalismus bis in die letzten Winkel der Dörfer vordrangen. Von wegen Dorfidylle! Die gab es nie, da brauchte sich der junge Graf nur umzusehen. Das Leben auf dem Lande war hart, eine Plackerei mit vereinzelt glücklichen Momenten, und als die Moderne hereinbrach, geriet es gänzlich aus den Fugen. Niemand erzählt das besser als Graf in dem Roman Das Leben meiner Mutter. »Das ist ein wahres Monument der Pietät und Liebe«, hat Thomas Mann über das Buch geschrieben.
In Berg kam Das Leben meiner Mutter, wie viele Geschichten Grafs, nicht gut an. Die Krämerseelen, die Neidhammel, aber auch die Pechvögel und die ewigen Verlierer, die kannte man nur zu gut. Das waren der Onkel, der Vater, die Nachbarin, und wenn es ganz dumm lief, war man es selbst. Das haben ihm die Berger nicht verziehen. Zu all dem hat er noch bei der November-Revolution 1918 in München mitgemacht, ist vor Hitler ins New Yorker Exil geflohen, war Pazifist, Sozialist, Bohemien und Sowjetunion-Pilger – mithin ein Mann, bei dessen Auftreten sich christkatholische Dorfbewohner vorsorglich bekreuzigen.
1994, als der 100. Geburtstag des Dichters drohend bevorstand, hatte sich der Wind gedreht. Bei den Einheimischen war offenbar der Gedanke gereift, dass man sich nun lange genug blamiert habe und dass es Berg womöglich zuträglich sei, mehr zu sein als nur der Ort, an dem König Ludwig II. einst tot im Wasser trieb. Also lud Bürgermeister Ücker, ein Mann von schwerfälliger Gestalt und erstaunlicher Lebensklugheit, am 27. Juni 1994 zur großen Jubiläumsausstellung im Berger Rathaus, wobei Ücker die Eröffnungsrede hielt. Mittendrin stockte er, fiel um und war tot. Herzattacke.
Niemanden hätte es gewundert, wenn daraufhin Grafs Spuren einschließlich des Straßenschilds von den Bergern für immer getilgt worden wären. Doch es kam anders: Heute erinnert ein lebensgroßes Bronzedenkmal im Ortsteil Aufkirchen an Oskar Maria Graf. Auf gepacktem Koffer sitzt er da, immer bereit zur Flucht. Auch die neue Volksschule haben sie nach ihm benannt. Möglicherweise wird er sogar gelesen.
Einige Prominente, die am Starnberger See wohnen: Michael Ballack, Georg Baselitz, Fred Bertelmann, Sepp Bierbichler, Oliver Bierhoff, Lothar-Günther Buchheim, Tankred Dorst, Dietrich Fischer-Dieskau, Jürgen Fliege, Peter Gauweiler, Jürgen Habermas, Otto von Habsburg, Johannes Heesters, Katerina Jacob, Marianne Koch, Georg Kofler, Heiner Lauterbach, Leopold Prinz von Bayern, Loriot, Peter Maffay, Leslie Mandoki, Helmut Markwort, Winfried Noé, Hans-Jürgen Papier, Simone Rethel, Patricia Riekel, Petra Schürmann, Ellen Schwiers, Tilmann Spengler, Johano Strasser, Patrick Süßkind, Julia Varady, Carl Friedrich von Weizsäcker, Karl-Heinz Wildmoser.
Herr S. verkauft Träume, die aussehen wie Doppelhaushälften, aber Doppio-Villen heißen. Jede hat noch einen eigenen Namen, zum Beispiel Villa Sole Nel Cuore oder Villa Vita Allegra, die Fassaden sind rosa gestrichen, der Terrassenboden weiß gekachelt. Inmitten der alten Bauern- und Herrschaftshäuser in Aufkirchen am Ostufer wirken sie wie ein 2000-PS-Motorboot in einem Hafen voller Segelboote.
Acht dieser Doppio-Villenhälften hat ein Münchner Immobilienunternehmen errichten lassen, wie er an das Grundstück gekommen sei, na ja, da muss Herr S. ein wenig schmunzeln: »die übliche Geschichte: eine alte Frau und die Erben wollten das Geld.« Im Unterschied zum Westufer gilt das Ostufer in Investorenkreisen noch als unberührtes, also profitables Terrain: große Grundstücke, viele alte Menschen und kaum Bauvorschriften. Und ist eine Gemeinde mit den Entwicklungsplänen einmal nicht einverstanden, können sich die Investoren meist den teureren Anwalt leisten, die ihre Interessen durchsetzen.
Mit einer leichten Handbewegung streichelt Herr S. das edle Holz des Treppengeländers, sagt noch, Aufkirchen sei das Prominentenviertel der Gemeinde Berg und nennt schließlich einen Preis: 900000 Euro. Damit der »königliche Traum« jetzt nicht plötzlich verfliegt, füllt er ihn schnell mit vielen kleinen Träumen: Fußbodenheizung bis in die Kellerräume, Tiefgarage, Klingel mit Videokamera, Nachbarn vom Ministerialdirigenten an aufwärts. Traum ist übrigens ein Oberbegriff. Er beschreibt auch Albträume.
Wer, sagen wir in Berlin oder Wanne-Eickel, Eindruck schinden will, braucht nur mit der Beiläufigkeit eines Bonvivants zu behaupten, er sei in Starnberg zu Hause. Starnberg! Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, würde das Wort nicht augenblicklich wirken, als hätte jemand mitten im Biergelage einen Champagnerkorken knallen lassen. Auf einmal erfüllt etwas Exquisites den Raum. Starnberg, das weiß man einfach, ist edel, ist schön, und wer sich als Starnberger in der Fremde zu erkennen gibt, kommt in den Genuss von Neid und Bewunderung. Nur eines darf nicht passieren: Dass jemand zugegen ist, der schon mal in Starnberg war. Dann wird’s bitter.
Das Einzige, was sich zum Ruhme Starnbergs guten Gewissens sagen lässt, hat Karl Valentin bereits in den dreißiger Jahren formuliert: »Fünf Meter von Starnberg abwärts liegt der Starnberger See.« So ist es. Und ohne den See käme kein vernünftiger Mensch auf den Gedanken, in der Stadt auch nur eine Kaffeepause zu machen, es sei denn, eine Reifenpanne nötigte ihn dazu. Sofern das Ortsbild Starnbergs nämlich etwas anderes hervorrufen kann als Wut und Enttäuschung, dann ist es die Idee, hier handle es sich um einen groß angelegten und weit gehend gelungenen Versuch, einen ursprünglich anmutigen Flecken brutalstmöglich zu verschandeln. Vielleicht aber dient die seit Jahrzehnten zu beobachtende Neigung der Starnberger, ihre Villen und Luxushotels aus der Glanzzeit um 1900 mit Allerweltsbauten zu verstellen oder sie gleich abzureißen, auch nur der Abschreckung der Münchner: Denn der Münchner ist der größte Feind der Starnberger. Das rührt daher, dass man in München auf ein göttliches oder sonst wie von oben verordnetes Gesetz pocht, demzufolge der Starnberger See die Badewanne Münchens ist. Den Starnbergern geht das seit je gegen den Strich, weshalb viel für die Abschreckungstheorie spricht. Warum sonst flankiert ein trostloses Sammelsurium von Baumärkten, Tankstellen, Industriebauten und Erdwällen just jene Straßen, auf denen der Münchner nach Starnberg gelangt? So gesehen, wäre auch der obligatorische Stau auf der vierspurigen Autobahn, die wie ein Keil in die Stadt ragt, durchaus beabsichtigt, und alle – bislang vergeblichen – Bestrebungen, hier einen Tunnel zu bauen, entbehrten der Ernsthaftigkeit.
Möglicherweise ist der Himbsel ja an all dem schuld: Der Unternehmer Johann Ulrich Himbsel (1787–1860) hat 1854 die Bahnstrecke Pasing–Starnberg gebaut und damit den Münchnern Tür und Tor geöffnet. Bis dahin war Starnberg ein Fischer- und Bauernnest, das die Wittelsbacher gelegentlich zur Sommerfrische aufsuchten. Ein ansehnliches Zentrum mit Marktplatz, prächtigem Rathaus oder herrschaftlichen Bürgerhäusern gab es dort nie, weshalb heute der Kirchplatz dafür herhalten muss – ein aussichtsloses Unterfangen angesichts der klotzigen Kreissparkasse. Wer daraufhin der Verlockung der Seepromenade erliegt, wird sich wundern. Wo ist überhaupt der See? Folgt man dem Augenschein, so liegt Starnberg gar nicht am Starnberger See, sondern an einem Bahndamm. Der allerdings führt exakt am Ufer entlang, und zwar so knapp, dass für die Seepromenade Erdaufschüttungen nötig waren. Dort zu promenieren ist vor allem für Eisenbahnfreunde ersprießlich.
Einmal wollten sie die Bahn auf Stelzen ins Wasser stellen. Von einem Venedig am Starnberger See war die Rede. Ein kühner Vergleich! Anders als Starnberg hat Venedig den Untergang noch vor sich.
Hildegard Wittmann wohnt in einer der schönsten Gegenden Deutschlands, am Westufer des Starnberger Sees; dort in einem der idyllischsten Orte, ein Dorf noch, Bernried; und in Bernried in einer der größten und ältesten Villen, 15 Zimmer, 5000 Quadratmeter Garten, Seeblick. »Ich weiß sehr wohl, wie gut es mir geht«, sagt sie.
Hildegard Wittmann, 64, ist Ärztin. In diesem Haus wuchs sie auf, hierher kehrte sie vor vier Jahren mit ihrem Mann, ebenfalls Arzt, zurück. Für ihre beiden Kinder und die Enkel haben sie den ersten Stock umgebaut, aber bisher kommen die nur zu Besuch.
In Bernried leben 2100 Menschen, es gibt keinen Supermarkt, keine Apotheke, dafür einen Maibaum, einen kleinen Hafen mit Segelschule, ein Kloster und einen Nationalpark mit Eichen, die so alt und groß sind, dass nur vier Menschen sie umfassen können. Und es gibt das Buchheim-Museum, das jährlich, vor allem an den Wochenenden, etwa 200000 Leute besuchen. Viele Einheimische fühlen sich davon gestört. Hildegard Wittmann nicht. Wochentags, wenn sie mit ihrem Mann spazieren geht, immer im Nationalpark oder am Seeufer in Bernried, grüßen sich alle Spaziergänger, auch wenn sie sich nicht kennen. Hildegard Wittmann erklärt es sich so: »Irgendwie möchte man das Glück, hier sein zu dürfen, wohl teilen.«
Geld spielt am Starnberger See eine besondere Rolle. Das ist auch in Ambach nicht anders. Doch während es am größten Teil des Sees hauptsächlich darum geht, dass man Geld gemacht hat, lautet die Frage in dem kleinen Ort am Ostufer vor allem: Wie hat man es verdient? Als Art Director? Dramaturg? Autor? Alles andere hieße arm zu sein. 1976 gründete der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achtern-busch gemeinsam mit dem Schauspieler und Gastronomen Sepp Bierbichler und dessen Schwester Annamirl in Ambach eine Wohngemeinschaft. Die hielt zwar nur wenige Jahre, begründete aber einen Mythos, der bis heute die kreative Leistungselite aus München und der Republik anzieht: junge Eltern um die 40, in der Attitüde liberal, aber im Kern konservativ. Während die Männer denken und schreiben, kümmern sich die Frauen karriereopfernd um die Kinder. Ausgestattet mit Porsche und High-Speed-Internetzugang suchen sie hier ihre Erdung.
Am Wochenende verschanzen sich die Neu-Ambacher auf ihren Grundstücken und ärgern sich. Denn dann kommt der Teil der kreativen Elite aus München zum »Fischmeister«, der es sich nicht leisten kann, hier zu wohnen, aber auch Porsche fährt. Und das Schaulaufen ist eröffnet: erst auf dem Parkplatz vor der Gaststätte, dann im Biergarten. Der »Fischmeister« gehört nämlich Sepp Bierbichler.
Alteingesessene Ambacher machen gefühlt nur noch Promille der Bewohner des Ortes aus, tatsächlich stammt vielleicht noch ein Fünftel von dort. Als Bauern, Fischer und Milchkannenträger sorgen sie für die Folklore. Droht Veränderung, sind es nicht die Einheimischen, sondern die Zugereisten, die sich zu wehren wissen: Als vor ein paar Jahren Investoren aus München ein altes Gehöft, den Grünwaldhof, übernahmen und zusätzlich 24 Wohnungen bauen wollten, reagierten die Neu-Ambacher sofort. Sie gründeten eine Bürger-initiative, sammelten 15000 Euro und engagierten einen Fachanwalt aus München. Bis heute ist noch nichts gebaut worden.
So viel Bodenständigkeit imponiert sogar den Bodenständigsten. Nach der Bürgerinitiative gefragt, antwortet ein Bauer aus dem nahen Holzhausen: »Das sind doch die, die immer wollen, dass sich bloß nichts verändert.